CH: Gastkommentar: «In den Lounges ist es oft lauter als im McDonalds nebenan»
Gedanken zur Entwicklung der C-Klasse bei den Airlines: Der TRAVEL INSIDE Autor und Branchen-Insider Erich Witschi arbeitet für Globetrotter.
Die Zeit des Umbruchs
Die zweite Hälfte der Siebzigerjahre war für alle Airlines eine Zeit des Umbruchs und der Herausforderungen, verursacht durch zwei einschneidende Begebenheiten. Die ‘Deregulation’ in den USA, die später auch auf die restliche Welt überschwappte, sorgte für Unruhe im Markt. Vorher war alles streng reguliert.
Tarife, Regeln, wer und wohin fliegen durfte und vieles mehr, waren bis ins kleinste Detail von der IATA und den jeweiligen Behörden vorgegeben. Als am 24. Oktober 1978 der damalige Präsident Jimmy Carter den ‘Deregulation Act’ unterschrieb (notabene in Air Force One), war es, als ob die Schleusen eines riesigen Stausees geöffnet wurden. Es war der Anfang vom Ende für viele Legacy Carrier, wie zum Beispiel Pan Am, TWA, Eastern, etc. Die Ära der LCC’s (Low Cost Carrier) nahm ihren Anfang.
Die Tarife sanken massiv
In den nächsten Monaten und Jahren strömten die Passagiere in Massen zu den Flughäfen. Die Tarife sanken z.T. bis zu 80%. Grossraumflugzeuge wurden zu Dutzenden bestellt, auch für Inlandstrecken. In Europa dauert(e) das Ganze, wie üblich, viel länger und ist immer noch im Gange. Mitte der Achtziger Jahre wurde von den Sesselfurzern in Brüssel die Deregulation in 3 Akten verkündet und stufenweise eingeführt. Die Verhandlungen zwischen einigen Staaten (inkl. Schweiz) dauern jedoch immer noch an.
Gleichzeitig wie die Deregulierung in den USA, war das Jahr 1978 (oder 1979 je nach Version) die Geburtsstunde der Business Class. Qantas, BCAL (British Caledonian), KLM, etc. behaupten alle, die Ersten mit einem echten Business Class Produkt gewesen zu sein. Ich bin überzeugt es war Qantas, die 1978 auf der Kangaroo-Route London – Australien Businesssessel einbaute (B747 ‘Longreach’).
2-Klassen Kabinen waren bereits seit den Fünfzigerjahren vorhanden. Ab Mitte 70er gab es erste Versuche mit der Executive Class und später Club Class von BA sowie der Clipper Class von Pan Am. Diese entsprachen aber alle eher der heutigen Premium Economy. Daneben gab es bereits seit den Anfangszeiten der Zivilluftfahrt die First Class.
Hier geht es aber in erster Linie um die C-Klasse.
Und zwar nicht auf der Langstrecke (folgt erst im einem anderen Kommentar), sondern ganz besonders um die Business Class auf Kurz- und Mittelstrecken in Europa. Ich habe dieses Jahr diverse Airlines, Flughäfen und Strecken getestet (es werden noch weitere hinzukommen) um herauszufinden, wie es sich nach Covid anfühlt in Europa herumzufliegen und ob die Business noch das liefert, was sie verspricht.
Lohnt es sich in Europa tiefer in die Tasche zu greifen nur um dann teilweise auf den gleichen Sitzen Platz zu nehmen wie in der Holzklasse? Ja und Nein. Das ist immer sehr persönlich und hängt von der Erwartungshaltung und der finanziellen Situation ab (oder der Grosszügigkeit der Travelpolicy des Arbeitgebers).
Ungleiches Preis/Leistungsverhältnis
Ein wichtiger Faktor ist sicher der Preis(unterschied). Dazu zwei Beispiele: Zürich – Rom – Zürich mit ITA, oneway in Eco CHF 184.00, in Business CHF 187.00 (!!), return in Eco CHF 215.00, Business CHF 355.00. >> Würde ich jederzeit empfehlen.
Zürich – Amsterdam – Zürich, return in Eco CHF 350.00, in Business CHF 666.00.
>> Hier sind die 300 Zuschlag für das Gebotene auf keinen Fall gerechtfertigt.
Ungleiches Leistungspaket an Bord
Ein weiterer Faktor ist der Komfort an Bord und die Airport Experience. An Bord unterscheidet sich die Business von der Eco meist nur durch den leeren Mittelplatz, ab und zu auch mit 2 Zentimeter mehr Sitzabstand (also kaum wahrnehmbar), sowie durch eine der Tageszeit angepassten Mahlzeit und mit Getränken (mit oder ohne Alkohol).
Der Preflight Drink ist bei fast allen Airlines verschwunden (ausser z.B. bei Iberia) und durch 50 cl stilles Wasser in einer Plastikflasche ersetzt worden. Wer heute noch in Komfort, mit echten Business Class oder gar ‘Lie-Flat’ Sitzen, innerhalb von Europa fliegen möchte, muss schon sehr genau wissen wann, mit wem und mit was er fliegt.
Die sogenannten ‘Fifth Freedom’ (ask Google) Flüge sind besonders attraktiv in Sachen Komfort und Preis. Hier ein paar Beispiele: ZRH-MXP-ZRH mit Ethiopian A350, BCN-MXP-BCN mit Singapore A350, MAD-LHR mit Iberia A350, AMS-MAD-AMS mit Air Europa Dreamliner, oder wer etwas länger in den Genuss der neuen Finnair Business Class kommen möchte, kann von Helsinki für CHF 600.00 in 6 ½ Stunden nach Gran Canaria fliegen.
ITA setzt momentan sogar ihre brandneuen A320Neo’s, die in einer besonderen Konfiguration für die Mittel- und Langstrecke bestellt wurden, innerhalb von Europa ein. Der A320Neo ist mit 12 ‘echten’ Business Lie-Flat, 12 Premium Eco und 141 Economy Sitzen bestückt. In den GDS sind die 3 Maschinen mit der Abkürzung 32Q erkennbar. Der Komfort in der Business Class innerhalb Europas umfasst also die ganze Bandbreite.
Wer kauft schon gern die ‘Katze im Sack’?
Ohne umfassendes Knowhow kauft man die Katze im Sack und für Otto Normalverbraucher ist es kaum möglich abzuwägen, ob sich der Aufpreis lohnt (es sei denn, man bucht in einem kompetenten Reisebüro – of course). Dann wären da noch die diversen Goodies am Airport, welche die Businessclass Experience abrunden. Separates Check-In, Security Fast-Track, Loungezutritt, zusätzliches Gepäck und Pre-boarding am Gate. I
In den meisten Fällen funktioniert das (nach meiner Erfahrung) immer noch recht gut, wobei die Airport Lounges immer öfters die Speisesaal-Atmosphäre eines All-Inclusive 3-Sterne Resorts in Benidorm vermitteln.
Die Speisen sind, je nach Lounge, sehr unterschiedlich und meist nur noch als Krümel vorhanden. Der Lärmpegel ist höher als im McDonalds nebenan, oder in einem Pub mit bierseligen Angelsachsen am Flughafen Gatwick.
Das mag jetzt überheblich tönen (soll es auch), aber seit Greti und Pleti Zutritt zu den Lounges haben, mit Diners, Mastercard, Priority Pass, Vouchers, Meilen, etc., ist es vorbei mit der Gemütlichkeit in den Business Class Lounges. Ich habe schon oft erlebt, dass ich anstehen musste, um in die Lounge zu gelangen, nur um dann 10 Minuten umherzuirren, um noch einen freien Platz zu ergattern.
Persönliches Fazit
In gewissen Fällen lohnt es sich durchaus innerhalb von Europa die extra Bazeli auszugeben, um Business zu fliegen. Aber die Krux an der Sache ist, dass man das nie genau im Voraus weiss, was einem erwartet; und Achtung: Verschiedene Airlines haben die Unsitte eingeführt, Business Tarife anzubieten, bei denen NUR der Platz im Flugzeug inbegriffen ist, jedoch kein Loungezutritt, kein Gepäck und mit diversem anderen Nonsens.Dann lohnt sich der Aufpreis definitiv nicht! Momentan trifft das nur auf Langstrecken zu, aber ich bin sicher, dass diese Unsitte punktuell auch in Europa eingeführt wird.